Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

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GabyP
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Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von GabyP » Do 10. Feb 2011, 09:35

Hallo,

Achtung: länger und mühsam ...

Das folgende stell ich hier ein, um zu zeigen, über welch vielgestaltiges Problem wir reden und welch unterschiedliche Meinungen/Forschungsergebnisse dazu existieren. Ich erhebe mit dieser Auflistung keinen Anspruch auf wissenschaftl. Objektivität, Vollständigkeit usw.

Beuing, Uni Gießen, veröffentlicht für GfK - bezogen auf Berner Sennen:
...wurde festgestellt, dass die ED-Belastung in der Nachzucht höher war, wenn ein Partner ED
betroffen war. Es konnte aber nicht festgestellt werden, dass die Nachzucht mit steigendem
ED-Grad des betroffenen Elternteils steigt. Im Vergleich zur Nachzucht freier Eltern wurden
ca. 10% mehr betroffene Nachkommen festgestellt, wenn einer der Eltern betroffen war. Die
Heritabilität für ED bei dichotomer Codierung war 0.20. Aus diesen Ergebnissen kann
abgeleitet werden, dass die differenzierte Graduierung der ED zur Beschreibung der
klinischen Relevanz der ED für den jeweiligen Hund hilfreich ist; aus der Sicht der Züchtung
und bei der Charakterisierung von Zuchttieren sollten aber alle Tiere mit ED, unabhängig
vom Schweregrad, gleich gewertet werden.
...
Werden wie bisher Hunde mit ED Grad 2 und Grad 3 von der Zucht ausgeschlossen,
vermindert sich die Dysplasierate in der Elterngruppe um insgesamt 12,3% der Fälle. Die
verbleibende Rate der Dysplasiehunde ist dann (24.2 12.3)/(1-12.3), das sind 13.6%. Diese
Verbesserung von 24.2% auf 13.6% Dysplasie in der Elterngruppe, also um 10.6%, wird
aufgrund der ermittelten Erblichkeit zu 20% als Erfolg erkennbar sein, sodass in der
untersuchten Population im nächsten Geburtsjahrgang 2.1% weniger von ED betroffene
Hunde auftreten. Somit kann eine Rate von 22.1% dysplastischer Nachkommen erwarten, ein
marginaler Erfolg. Wenn alle dysplastischen Hunde von der Zucht ausgeschlossen werden,
ergibt sich eine Erwartung von 19.5 %, was weitgehend der realisierten Häufigkeit aus EDfreien
Eltern entspricht. Das würde aber bedeuten, dass fast ein Viertel der Berner
Sennenhunde nur wegen ED als Zuchthunde ausscheiden.
Wie die Daten deutlich zeigen, sind selbst aus Paarungen ED-frei x ED-frei im gesamten
Zeitraum 20% dysplastische Hunde entstanden.
...
Bei einer Erblichkeit von nur 20% sind viele Fälle
denkbar, bei denen Ernährungs- und Haltungsfehler zur Dysplasie führen. Einige der Hunde
könnten durch Zuchtwertschätzung erkannt und durch Nachzuchtergebnisse rehabilitiert
werden.


Beuing, für TG Tierzucht - bezogen auf Rottweiler und Schäferhunde - befürwortet Messung "Ellbogenqualität" = EQ:
...Richtlinie zur gutachterlichen Einstufung erarbeitet. Diese sieht vier ED-Klassen (ED-frei und Grad 1 bis Grad 3) vor, die sich ausschließlich an den Arthrosen orientieren.
...
Die so definierte Ellbogendysplasie (ED) ist gut geeignet, den Gesundheitszustand des
Hundes zu charakterisieren. Für züchterische Maßnahmen ist diese Klassifizierung jedoch
sehr problematisch. Die Einordnung in die Klassen erlaubt gutachterlichen Spielraum, da an
verschiedenen Stellen des Gelenks die Auflagerungen unterschiedlich sein können und zudem
können die zwei Gelenke des Hundes verschiedene arthrotische Zustände zeigen. Die
Arthrosemenge ist auch abhängig von Röntgenalter, Fütterungsintensität, Gelenkbelastung
durch Bewegung/Leistung, Entzündungen, usw., also auch von Unweltfaktoren. Die
funktionale Form des Gelenkes bleibt unbeachtet
...
Die Beschreibung der Ellbogen-Dysplasie durch Messungen zur Charakterisierung der
Gelenkform ist möglich. Die Messwerte sind objektiv erfassbar, in hohem Maße
reproduzierbar, links und rechts sehr ähnlich und unabhängig von Alter und Geschlecht des
Tieres. EQ ist für züchterische Anwendungen insbesondere deswegen geeignet, weil der Wert
optimiert ist, um die Vererbung vorherzusagen. Er konzentriert sich somit auf vererbbare
Details. Gutachterliche Einstufungen schließen alle nicht-genetischen Faktoren mit ein, wenn
sie auf der Basis von Arthrosen vorgenommen werden
...
In einem gutachterlichen Verfahren, in dem ein hoher Prozentsatz der Tiere als ED-frei bezeichnet werden, werden eben diese nicht mehr differenziert, obwohl sie sehr wohl unterschiedlich in der Ellbogenqualität sind.


Sommerfeld-Stur zu Screening allgemein und HD/ED im besonderen:
... gibt es eine Reihe von Studien zur Heritabilität der HD und der ED. Die Werte für die Heritabilität liegen je nach Studie zwischen 10% und 60%, jedenfalls in einem Bereich, der bei entsprechend konsequenter Selektion einen gewissen Zuchtfortschritt erwarten lässt ...
Insgesamt gesehen sind aber wissenschaftlich belegte Informationen zur Heritabilität von Screeningergebnissen bisher eher spärlich.


Tellhelm wird bei den Wachtelhunden zitiert:
Starke Überbelastung in der Wachstumsphase, zu lange Spaziergänge, Fahrradfahren oder übermäßiges Treppensteigen, zu energiereiche Fütterung, "hochwertiges" Welpenfutter über zu lange Zeit oder Zusatzfütterung von Mineralstoffpräparaten: All das kann dem genetisch vorbelasteten Hund zusätzlich schaden

Die Altdeutschen Schäferhunde zitieren verschiedene Richtungen:
Eine starke Überbelastung in der Wachstumsphase, lange anstrengende Spaziergänge, Fahrradfahren oder übermässiges Treppensteigen.
Zu reichliche Fütterung, hochwertiges Welpenfutter oder Zufügen von extra Vitaminpräparaten an ausgewogenes Futter, das bewirkt eine Störung des Calcium/Phosphor-Verhältnisses.
Erbliche Veranlagungen, obwohl sich bei diesem Punkt die Geister scheiden, dann man weiss noch nicht, welche Faktoren erblich sind.
Unfälle, schwere Stürze, Verstauchungen, Brüche und Tumore können ebenfalls ED verursachen


Flückinger, Schweiz:
... daß bei optimaler Fütterung nicht jedes genetisch belastete Tier klinisch erkranken muß

Dissertation Heine - zitiert Studien aus verschiedenen Ländern, die eine Heritabilitätsspannweite von 0,18 bis 0,77 (!!!) ergeben; weiter:
...Ein gewisser Einfluss auf die
Höhe der Heritabilität kann von der Verteilung der ED-Grade ausgehen, da bei den
Rüden mehr Tiere mit den ED-Graden 2 und 3 vorkamen und sich dadurch
Unterschiede zwischen männlichen Nachkommengruppen deutlicher ausdrücken
können als bei weiblichen Nachkommengruppen.

und kommt zu dem Schluß, daß ED-Ergebnisse ungenügend eingereicht werden, weil es eine Junghunderkrankung sei, wo OP erfolge; sie befürwortet diesbezüglich Zuchtwertschätzung und Einbeziehung der Ellbogengelenkswinkel in die ED-Begutachtung

Beuing u.a. zur technischen Vermessung von Gelenken (Labrador und Golden Retr.):
...Vergleiche zwischen Gutachtern bei identischen Röntgenbildern führten zu erheblich verschiedenen Prozentsätzen freier Hunde.
...

Mit der Grad-Einteilung von ED-frei bis ED-Grad 3 folgen die Gutachter der Methodik der HD-Graduierung und übernehmen dabei auch alle Schwachpunkte des Verfahrens, vornehmlich die grobe Skalierung in nur 4 Klassen, die im Bereich der freien Tiere keine Differenzierung mehr erlaubt, die Abhängigkeit vom Alter und die starke Abhängigkeit der eigentlich sekundären Arthrosen von den Haltungsbedingungen, d.h. Ernährung und Bewegung
Erwartungsgemäß sind die Heritabilitäten gering
, nur in stark belasteten Rassen sind die ED-Gutachten noch züchterisch nutzbar. Gefährlich ist die Abhängigkeit der Arthrosen vom genetisch mit vorgegebenen Körpergewicht, sodass ED-Zucht typverändernd wirken kann oder durch Kontraselektion nach Typ wieder geschwächt wird
Die deutlich höhere Heritabilität der EQ-Messungen für den EQ-Index prädestiniert ihn als Selektionskriterium und auch als Bewertungsgröße, um das gelenkbedingte Risiko, noch bevor Schäden sichtbar sind, zu beschreiben
EQ deutlich besser (Retriever) als ZWS aufgrund ED-Graden


Engler u.a.:
Die Heritabilitäten für die ED waren im niederen bis mittleren Bereich, so dass die Zuchtfortschritte über die alleinige Selektion der Zuchttiere nach den phänotypischen ED-Röntgenbefunden nur gering sein werden

Dissertation Schmied, Zürich - unter Verwendung von "Ellbogenqualität" = EQ (Labrador und Golden Retr.):
Beim LR und GR ist die Heritabilität des EQ-Index fast doppelt so hoch wie bei der ED. Die optimierten EQ-Indizes zeigen beim LR und GR mit – 0,55 eine bessere Korrelation zum ED-Genotyp als das ED-Gutachten mit 0,36.

Viele Grüße

redchili

Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von redchili » Do 10. Feb 2011, 10:04

:clap: :clap: :clap:
Super, Gaby, tausend Dank!

Viele Grüße,
Antje mit Luzie

terri07

Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von terri07 » Do 10. Feb 2011, 10:19

hab da mal ne frage - wie viele aridale terrier leben und wie viele sind davon in einer untersuchung erfast so das ich wirklich von einem problem ,in sachen ed zb. sprechen kann ( oder alle anderen krankheiten auch) ? und ist nicht der entverbraucher der jenige der sich die untersuchungs ergebnisse bei einem züchter zeigen lassen kann - wenn er sie nicht hat kauf ich nicht - so reguliert sich die zucht fast von selbst oder kauft ihr die katze im sack

ps .: meine hunde hab ich auf alles untersuchen lassen .

gruß klaus

GabyP
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Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von GabyP » Do 10. Feb 2011, 10:29

Hallo, Klaus,

in anderem Zusammenhang hatten wir mal geschätzt, daß wohl etwa 10 000 Airedales leben - untersucht und eingereicht beim KfT waren es mal um die 70 - dürften jetzt mehr sein.

Untersucht sind wohl mehr Hunde - so wie Deine, aber eben nicht begutachtet. Dabei dürften die Kosten und der Wissensstand des "normalen" Airedalehalters eine Rolle spielen.

Viele Grüße

Freddy

Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von Freddy » Do 10. Feb 2011, 11:26

Hallo zusammen,

@ Gabi vielen Dank für Deine umfangreichen Ausführungen.

GabyP hat geschrieben:Werden wie bisher Hunde mit ED Grad 2 und Grad 3 von der Zucht ausgeschlossen,
vermindert sich die Dysplasierate in der Elterngruppe um insgesamt 12,3% der Fälle.
Das hätte in Zukunft eine Reduzierung der ED kranken Hunde zur Folge. So weit, so gut...

Würde aber nicht durch den Zucht-Ausschluß dieser Tiere der "genetische Flaschenhals" automatisch (noch) kleiner und dadurch womöglich das Auftreten anderer genetisch bedingten Krankheiten gefördert?
Man fragt sich als "Endverbraucher" schon, ob nicht ein generelles Umdenken in der Hundezucht (Dortmunder Appell) angesagt ist, um den "genetischen Flaschenhals" zu erweitern und unsere Hunde wieder gesünder zu machen?

LG
Freddy

GabyP
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Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von GabyP » Do 10. Feb 2011, 12:02

Hallo, Freddy,

der Dortmunder Appell müßte aber in einen eigenen Thread.

Viele Grüße

Artus

Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von Artus » Do 10. Feb 2011, 12:48

Hallo Gaby,

da hast Du Dir aber viel Mühe gemacht. Danke.

Schade, dass man keine Diskussion mit verschiedenen Fachleuten organisieren kann, die unterschiedliche Sichtweisen zur ED vertreten.

Ich als Laie, keine Ahnung von Genetik, bin da überfordert.

Persönlich bin ich zwar der Auffassung, das sowohl bei der HD als auch bei ED Kriterien wie Ernährung,
Belastung.... eine Rolle spielen, aber wissenschaftlich erklären kann ich das natürlich nicht.


LG Rosi

smartopen

Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von smartopen » Do 10. Feb 2011, 13:26

bei dem wurf von unserem AT war alles dabei an hüften von a-c und die c hüfte hatte eine hündin die von anfang an nie überlastet und immer geschont wurde von den 10 welpen wurden 6 geröngt es ist wirklich schwer zu sagen ob es nun genetik oder lebensumstände sind die dazu führen :dog_unsure

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winston
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Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von winston » Do 10. Feb 2011, 14:09

Hallo,

Gabi, vielen Dank für deine Mühe. Das war klasse.

Zu Frage hat der AT ein Problem mit ED - würde ich vorsichtig zu nein tendieren. Nehmen wir an, dass die Wissenschaft recht hat: frei x frei ergibt 20% der Nachkommen mit Befund, würde das die momentanen Zahlen bestätigen. Es sind jetzt laut Dogbase, vom 15.1.11, 225 untersucht und eingereicht. Letztes Jahr waren es 79 im Juli, und da waren es ca. 17% mit ED, ich denke die Zahlen werden sich auch so jetzt bestätigen. Wahrscheinlich liegen wir bei 15% plus die bekannten nicht eingereichten, plus jetzt nicht mehr eingereichter, dürften wir uns da einpendeln. Das wäre ja normal. Und wird auch bei Mischlingen nicht anders sein. Aber wir wollen, das dies so bleibt.

Zur Vererblichkeit kann ich nur unsere eigenen Ergebnisse zu Rate ziehen: 3 Wurfgeschwister - 2 Rüden - 1 Hündin. Alle 3 in der Zucht. Beide Rüden mit ED Befund - Hündin ohne Untersuchung (lt. Dogbase). Der untersuchte Deckrüde mit ED 2, hat zumindest 1 Nachkomme mit ED2- kein Sporthund- um den Sport einmal zu entkräften.
Die Hündin ist auch in der Zucht. Wurde nicht untersucht. Im Nachwuchs der Hündin, ein Rüde, der ebenfalls als Deckrüde eingesetzt ist. Er selbst hat ED 0. Auch da ein ED 2 Nachkomme. Eine andere Zucht, genau das gleiche. Da stellt sich mir auf jeden Fall die Frage: ist hier nicht Vorsicht besser als Nachsicht? Alle Rüden sind nach wie vor im Zuchteinsatz. Der Deckrüde mit ED 2, hat bereits über 250 Nachkommen, die Deckakte von diesem Jahr nicht eingerechnet. Bei freien mit freien sind es ca. 20% mit ED. Dann können wir uns hier die Zahlen hochrechnen. Jetzt muss noch bedacht werden, dass wir erst seit letztem Jahr röntgen. Dieser besagte Wurf die ED ja auch irgendwo her haben muss. Die ED der Zuchttiere davon gar nicht bekannt sind. Man darf gespannt sein.

Weiter zur Theorie des Dortmunder Appells: Alle Hunde haben einen Inzuchtkoeffizienten von 0 oder gegen 0. Der einzigste mit einer höheren Inzucht, nämlich knapp 2,5 %, hat selbst keine ED. Wobei es bei der Hündin im Ungewissen bleibt.

LG
Jutta
Keiner weiß alles, und niemand soviel wie wir alle zusammen.

Artus

Re: Warum Röntgen, warum PRA untersuchen?!

Beitrag von Artus » Do 10. Feb 2011, 18:42

Hallo,

so wie ich es sehe, sind doch einige dafür, dass etwas hinsichtlich ED in die Wege geleitet wird.

Ein Problem in dem Sinne, das zuchtrelevante Maßnahmen eingeleitet werden müssen, scheinen wir nicht zu haben, denn bisher wurden in dieser Richtung keine Maßnahmen vom Verein eingeleitet.

Also sollten, wie bereits auch von anderen gesagt, Röntgenuntersuchungen durchgeführt werden, Daten erfaßt und ausgewertet werden.

Zu den Röntgenuntersuchungen zwecks Datenerfassung können aber nur Hunde, die erstmals in die Zucht gehen herangezogen werden, da die Zuchtordnung für bereits in der Zucht befindliche Hunde dies nicht zuläßt.

Aber es wäre ein Anfang.

Mehr ist aus meiner Sicht momentan schon aus rechtlicher Sicht nicht zu verwirklichen.

LG Rosi

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